Die EKG-App auf der Apple Watch Series 4 ist erst kürzlich aufgeschaltet worden. Da es sich dabei um ein medizinisches Gerät handelt, musste Apple erst die nötige Bewilligung / Zertifizierung einholen.
Unsere Infos und Hilfestellungen zur EKG-App gibt es hier: EKG-App auf Apple Watch Series 4 einrichten
Die EKG Funktion gibt es nur bei der Apple Watch Series 4. Hier unser Review zur aktuellen Apple Watch.
Das Luzerner Kantonsspital hat passend zu dieser Thematik ein Interview mit dem Chefarzt Kardiologie veröffentlicht. Dr. med. Richard Kobaz nimmt Stellung zu Fragen bezüglich Nutzen und Genauigkeit.
Experteninterview mit PD Dr. med. Richard Kobza:
Spielerei oder echter Nutzen – was ist Ihre Meinung als Kardiologe?
Richard Kobza: Das ist sicher weit mehr als eine Spielerei. Die neuen Techniken eröffnen effektiv viele Möglichkeiten. Unter anderem geben sie sehr schnell und unkompliziert wichtige Hinweise auf mögliche Herzrhythmusstörungen wie das Vorhofflimmern. Der Nutzer kann sein EKG auch direkt dem behandelnden Arzt weiterleiten.
Weshalb ist das wichtig?
Einerseits dient es der Früherkennung, denn nicht in jedem Fall macht sich ein Vorhofflimmern durch Symptome bemerkbar. Andererseits kann man mit Smartphones und Smartwatches auch besser Personen erfassen, die nicht zu den klassischen Risikogruppen gehören.
Haben Sie schon Erfahrungen gemacht mit der neuen Technik?
Ja, ich hatte schon Patienten, bei denen ich aufgrund der Beschwerden ein Vorhofflimmern vermutete. Da die Beschwerden aber nur alle paar Wochen auftraten, war es im Spital nicht möglich, die Rhythmusstörung mittels EKG aufzuzeichnen. Diesen Patienten habe ich ein EKG-Band für eine Smartwatch empfohlen, und es gelang uns so, die Diagnose zu stellen.
Gibt es bereits Studien über die Genauigkeit solcher mobilen EKGs?
Vor wenigen Tagen wurden in die USA die Resultate der Apple-Heart-Studie veröffentlicht. Dabei wurde mit der jetzt auch bei uns zugelassenen Funktion der Apple Watch der Herzrhythmus von 400 000 Leuten geprüft, die keiner Hauptrisikogruppe angehörten. Über die Hälfte war jünger als 39 Jahre. Bei 2150 Teilnehmern (0,5 Prozent) wurde ein unregelmässiger Rhythmus registriert, und bei 450 davon konnte schliesslich ein Vorhofflimmern diagnostiziert werden. Die prognostische Genauigkeit hat also noch etwas Luft nach oben, und es gibt sicher auch «Fehlalarme». Aber man steht erst am Anfang, die Anwendungen werden weiterentwickelt, und mit den 450 zuvor unentdeckten Fällen hat man wahrscheinlich einige vor einem Hirnschlag oder anderen Komplikationen des Vorhofflimmern bewahren können.
Kommen wir auf die Krankheit: Was genau ist Vorhofflimmern?
Vorhofflimmern (AF) ist eine Herzrhythmusstörung, bei der die Herzvorhöfe nicht mehr regelmässig, sondern zu schnell, unregelmässig und unkoordiniert schlagen. Dies führt dazu, dass das Herz nicht mehr genügend Blut in den Kreislauf pumpen kann, was die Leistungsfähigkeit des Herzens beeinträchtigt und auf Dauer ernsthafte Beschwerden auslösen kann. Betroffen ist in der Schweiz etwa 1 Prozent der Bevölkerung, das heisst rund 100 000 Menschen.
Wie merkt man, dass man an Vorhofflimmern leiden könnte?
Viele Patienten spüren ein rasches Herzklopfen, ein Herzstolpern oder ein Herzrasen. Letzteres kann über Stunden oder sogar länger andauern. Andere mögliche Symptome sind ein Druckgefühl auf der Brust, Müdigkeit und Atemnot. Es kommt aber wie erwähnt auch vor, dass das Vorhofflimmern keine Beschwerden verursacht. Es wird dann oft zufällig und gelegentlich zu spät diagnostiziert.
Welche Risikofaktoren gibt es?
Primär das Alter, dann aber auch Bluthochdruck (Hypertonie), Herzschwäche (Herzinsuffizienz), koronare Herzerkrankung, verursacht durch Arteriosklerose (Ablagerungen in Herzkranzgefässen), Fettleibigkeit, Niereninsuffizienz, Diabetes oder auch Schlafapnoe.
Dass der Lebensstil offenbar mitspielt, deutet darauf hin, dass man Vorhofflimmern vorbeugen kann.
Ja, und gewisse Massnahmen sind nicht nur für die Prävention wichtig, sondern auch für die Therapie. Patienten mit Übergewicht wird eine Gewichtsabnahme empfohlen, wobei der Jojo-Effekt zu vermeiden ist. Sport in Kombination mit Gewichtsabnahme kann das Vorhofflimmern reduzieren oder sogar zum Verschwinden bringen. Gleiches gilt bei weitgehendem Verzicht auf Alkohol und Verzicht aufs Rauchen sowieso. Wichtig ist, dass die erwähnten Grunderkrankungen angemessen behandelt werden.
Ist Vorhofflimmern unmittelbar gefährlich oder lebensbedrohlich?
Vorhofflimmern als solches ist keine tödliche Gefahr. Wenn aber der Herzschlag über Wochen zu schnell ist – typischerweise über 100 pro Minute – wird der Herzmuskel erschöpft und schwach. Dann spricht man von einer Herzinsuffizienz, die ihrerseits ein ernstes Problem ist. Zudem hat der Vorhof beim Flimmern keine geregelte mechanische Aktivität mehr. Folge: Das Blut wird nicht mehr gut wegtransportiert, und wenn Blut zu langsam oder gar nicht fliesst, können Gerinnsel entstehen. Wird dann ein solches Gerinnsel aus dem Vorhof weggeschwemmt, kann es ins Gehirn gelangen, dort ein Gefäss verstopfen und zu einem Hirnschlag führen. Aber auch ohne ein solch dramatisches Ereignis kann das Gehirn beeinträchtigt werden.
Inwiefern?
In diesen Tagen wurde eine grosse Studie (Swiss Atrial Fibrillation Study; Swiss-AF) veröffentlicht. Eingehend untersucht wurden bei 1737 Patienten mit Vorhofflimmern mögliche Veränderungen im Gehirn, speziell die Auswirkungen auf kognitive Funktionen, also unter anderem Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Lernfähigkeit, Gedächtnis, Spracherkennung oder Motivation.
Was kam dabei heraus?
Es zeigt sich, dass unter jenen 1390 Patienten, bei denen zuvor kein Hirninfarkt dokumentiert war, etwa jeder siebte einen klinisch stummen Hirninfarkt aufwies. Interessanterweise fand sich sowohl bei schon bekannten als auch bei stummen Infarkten eine deutlich verringerte kognitive Leistungsfähigkeit. Auch deshalb ist Früherkennung wichtig.
Wie wird Vorhofflimmern behandelt?
Das ist je nach Patient und Form des Vorhofflimmerns ganz individuell. Zwei Ziele stehen im Fokus: Vermeidung eines Hirnschlages mittels Blutverdünnung und Rhythmuskontrolle.
Wie erreicht man diese Ziele?
Die Blutverdünnung erfolgt medikamentös. Für die Rhythmuskontrolle stehen mehrere Therapieoptionen zur Verfügung. Meistens versucht man zuerst eine medikamentöse Behandlung. Diese ist häufig gut wirksam im Anfangsstadium. Allerdings kann Vorhofflimmern trotzdem auftreten. Zudem haben Medikamente immer auch Nebenwirkungen. Sind diese heftig oder tut sich ein Patient allgemein schwer mit Medikamenten, kann eine Katheterablation angeboten werden (siehe Kasten).
Wie hoch ist die Erfolgsquote der Katheterablation?
Je nach Art des Vorhofflimmerns 60 bis 80 Prozent. Erfolg bedeutet: kein Vorhofflimmern ein Jahr nach der Behandlung ohne unterstützende Medikamente. Ob man dabei von Heilung sprechen kann, ist nicht schlüssig zu beantworten. Wir sehen oft Patienten, die über Jahre ohne Rückfall bleiben. Es kommt aber auch vor, dass das Vorhofflimmern einige Jahre nach einer erfolgreichen Erstbehandlung wieder auftritt.
Was macht man dann?
Das kommt auf den Einzelfall an. Es gibt auch bei erstmaligen Eingriffen fortgeschrittene Stadien des Vorhofflimmerns, bei denen eine Stabilisierung des Sinusrhythmus nicht mehr möglich ist. Dann kommt die sogenannte Frequenzkontrolle zum Tragen: Um die erhöhte Herzfrequenz, also den Puls, zu senken, werden Medikamente eingesetzt. Reicht das nicht aus, besteht die Möglichkeit einer Katheterablation, mit welcher der sogenannte AV-Knoten verödet wird. Er gehört zum Erregungsleitungssystem des Herzens. Dieser Eingriff ist mit einer Schrittmacher-Implantation verbunden.
Ist die Katheterablation besser als die medikamentöse Behandlung?
So absolut kann man das sicher nicht sagen, im Gegenteil. Unbedingt und unabhängig von Medikamenten sollte man die Katheterablation jenen Patienten anbieten, die sowohl an Vorhofflimmern wie an Herzschwäche leiden. Studienergebnisse (Castle-AF-Studie) haben nämlich gezeigt, dass diese Patienten dadurch ein besseres Überleben haben.
Und was ist mit jenen Patienten, die «nur» Vorhofflimmern haben?
Auch dazu gibt es eine ganz aktuelle Studie (Cabana). 2204 Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt, bei denen entweder eine Katheterablation (Pulmonalvenen-Isolation) durchgeführt oder eine medikamentöse Behandlung eingeleitet wurde. Aus den Ergebnissen kann man folgern, dass die Ablation bezüglich Rhythmusstabilität und Symptomreduktion der medikamentösen Therapie überlegen ist, zudem ist sie eine sichere Methode. Aber: Die Ablation konnte in der Summe bei den untersuchten Patienten keinen Überlebensvorteil gegenüber der medikamentösen Therapie zeigen.
Was bedeutet das in der Praxis bzw. für den einzelnen Patienten?
Die Studie bestätigt, dass wir bei Patienten ohne Leidensdruck und/oder gutem Ansprechen auf Medikamente keinen Grund für eine Ablation haben. Das kommt Patienten entgegen, die keinen Eingriff machen lassen wollen. Wir haben aber auch viele Patienten, die klar sagen, dass sie nicht lebenslang Medikamente einnehmen möchten und lieber eine Ablation wollen. Noch mehr Aufschluss bringt dann möglicherweise eine weitere Studie (East), an welcher wir auch wieder beteiligt sind.
Das ist sicher weit mehr als einfach eine Spielerei.
PD Dr. med. Richard Kobza, Chefarzt Kardiologie Herzzentrum, zur EKG-App der Apple Watch Series 4